Tschechien und die Tschechen
wenn die Dusche zum Erlebnis wird

Der letzte Schüleraustausch nach England ist doch schon eine Weile her, und ich begebe mich wieder in das Abenteuer, eine fremde Kultur kennenzulernen. Diesmal ist es die tschechische. Angekommen in der Schule erfahre ich, daß ich als einzige Deutsche in einer tschechischen Gastfamilie untergebracht bin, die anderen Deutschen schlafen in der Turnhalle.

Abenteuer Sprache!
Meine Gastschwester Eva spricht kein Englisch und nur etwas Deutsch. Mit "etwas" meine ich, Sätze ohne Komma und nur in der Gegenwartsform, denn die Vergangenheit "habe ich noch nicht" (Zitat). Dann stelle ich erleichtert fest, daß Eva noch eine Schwester Hannah hat, bei der eine Amerikanerin übernachtet. Also vier Mädels unter einem Dach, das verspricht doch schon mal viel Spaß. Hannah konnte Englisch, aber nur ein paar Brocken Deutsch, die Eltern der beiden sprachen nur Tschechisch.

Nach so einer langen Busfahrt
ist man müde und sehnt sich nur noch nach einer heißen Dusche und einem gemütlichen Bett. Das mit dem Duschen mußte ich erst lernen. Eva setzte sich in bekleidetem Zustand in die Badewanne, um mir die optimale Metholde zu zeigen, wie kein Wasser über den Wannenrand spritzt. Ich bin eigentlich nicht so kompliziert, daß ich mich nicht in einer gewöhnlichen Badewanne auch sauber bekommen würde, doch sah ich durchaus auch die Vorteile der vorgeschlagenen Technik. Die Wanne hatte nämlich keinen Duschvorhang. Mit etwas Übung klappte das auch ganz gut, im Sitzen, die eine Hand mit der Brause über den Kopf haltend und mit der anderen einseifend

Dann ab ins Bett.
Auf dem Weg in den ersten Stock sah ich mir das Haus etwas genauer an. Alles in Braun, Orange und Waldgrün gehalten, mit goldenen Türgriffen erinnerte mich die Einrichtung stark an die üblen 70er bei uns. Aber ich hatte mir das typische tschechische Haus ein bißchen ärmlicher vorgestellt, was es eigentlich nicht war. Ich sollte mit Eva in einem Doppelbett schlafen, sie lag schon im Bett und spielte noch mit ihrem Hund. Zuerst fiel mir auf, daß das Bett kein Leintuch hatte, was mich kurzfristig etwas ekelte, doch was ich dann einfach ignorierte. Viel zu müde für ein längeres Gespräch wünschten wir uns nur noch zweisprachig "gute Nacht" und schliefen gleich ein. Moment mal, was ist denn das? Ein kalter Schauer auf meinem Rücken - irgendetwas ist unter meiner Bettdecke... Jetzt bewegt es sich, schlappt mir über das Kinn: Es ist der Hund, der selbstverständlich mit im Bett schläft. Entspannende Nacht.

Morgens eine weitere neue Erfahrung:
der tschechische Kaffee. Noch unausgeschlafen trank ich gierig meine Tasse und merkte etwa bei der Hälfte, daß da irgendwie der Filter geplatzt sein mußte oder so, denn die Tasse war voller Kaffeepulver. Wenig später lernte ich, das gehört hier so. Man tut einfach drei bis fünf Teelöffel normalen Bohnenkaffee in die Tasse, gießt kochendes Wasser drüber und schmeißt nochmal etwa drei bis fünf Teelöffel Zucker rein. Zugegeben, da könnte ich mich wirklich dran gewöhnen. An das Frühstück auch. Das war eigentlich ganz "normal" mit Brot oder Brötchen und selbstgemachter Marmelade oder Wurst und Käse.

Überhaupt, das Essen in meiner Gastfamilie war immer super lecker. Selbst wenn wir in der Schule schon gegessen hatten, gab es nachts um zwölf nochmal einen riesigen Topf Reis mit Gemüse oder ähnlichem. Ich habe selten so viel gegessen. Auch beim Essen lag immer entweder Hund oder Katze auf meinem Schoß. Doch immer zu den Mahlzeiten kamen wir vier Mädels so richtig ins Gespräch, als hätten wir tagsüber noch nicht genug zu reden. Ein bißchen erschwert zum einen durch die sprachlichen Hindernisse und zum anderen durch den schon fast witzigen Tick meiner Gastschwester, die nichts hören kann, wenn sie kaut. Wir haben ein richtiges Ritual daraus gemacht, uns mitten in der Nacht noch die Bäuche vollzuhauen und zu quatschen.

Noch eine kleine Geschichte:
Meine Gastfamilie war nicht christlich. Die wenigsten Tschechen sind Christen, wenn sie überhaupt mehr über Jesus wissen als seine Lebensdaten. Um so mehr hat es mich überrascht, als Eva an einem der Abende vor dem gedeckten Tisch saß, und nicht anfangen wollte zu essen. Sie blätterte wie wild in ihrem tschechisch-deutschen Wörterbuch und sagte dann: "Wir müss bäden" und nickte mit dem Kopf und kullerte aufgeregt mit den Augen. Ihre Schwester fragte sie auf tschechisch, was sie wollte und übersetzte für die Amerikanerin und mich auf Englisch, daß ihre Schwester meinte, wir sollten doch beten. Schließlich machten wir das doch vor dem Essen so, oder nicht?! Sharon, die Amerikanerin und ich schauten uns an und waren etwas irritiert. Ich gehöre nicht so zu den Missionarstypen und schluckte dann kurz, als Sharon meinte, daß auch ihr das unangenehm sei. Also betete ich "Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast,..." auf deutsch und Eva startete glücklich ihr Abendessen. Nur ich konnte plötzlich nicht mehr essen, weil ich noch zu verwirrt war.

Insgesamt war die Woche in Louny
voller neuer Erfahrungen, doch wirklich froh war ich darüber, daß ich bei den beiden Schwestern wohnen konnte. Etliche meiner Vorurteile den Tschechen gegenüber waren auf ein Mal wie weggewischt und selbst die Verständigungsschwierigkeiten waren nicht mehr allzu groß. Eva und ich entwickelten eine Art Geheimsprache, die außer uns wohl niemand verstehen kann, eine Mischung aus Körpersprache und Wortfetzen. Und ein kleines bißchen vermisse ich sogar den Hund unter der Bettdecke. Bei soviel Gastfreundschaft habe ich ein Wort fast ständig gesagt: "dekuyi", das heißt "danke".

mirjam im Sommer 1998