Psychogramm
der tschechischen Seele
4 Jugendliche

Nach Prag fahren viele Deutsche. Aber Prag durch die einheimische Brille sehen, das ist nur wenigen vergönnt. Unsere optischen Berater waren hauptsächlich Zuzanna alias Zuska, Hedvika, Jana und Ildefons alias Bärbel. Ein Bilderbuch - Team.

Zuzanna ist 19, studiert
hussitische Theologie (Jan Hus, der evangelische Reformator) und hat alles angeleiert. Sich für Leute engagieren, ständig unterwegs sein, Teestube, das ist ihre Welt. Sie wohnt bei ihren Eltern, sonntags geht sie in eine kleine hussitische Kirche, durchschnittlicher Gottesdienstbesuch: 12 Leute.

Hedvika studiert Politikwissenschaften,
spricht wie Zuzanna sehr gut englisch und ist die Kritische im Team. Sie kann lächelnd beißende Ironie aus dem Hut zaubern, umwerfend. Untergebracht ist sie mit staatlicher Unterstützung in einem Jugendhotel.

Jana ist 18, Pfarrerinnentochter
und arbeitet ganztags bei "Enya". Das ist eine christliche Organisation in Osteuropa, die pädagogisches und sonstiges Knowhow vermittelt, Hilfe zur Selbsthilfe. Jana zieht die Sponsoren an Land und macht einen Haufen Organisation. Ihre Bezahlung: Essen und Idealismus. Zwei Tage nach unserer Abreise fuhren die drei Mädels auf ein einwöchiges Kinderheimcamp, um unter haarsträubendsten Bedingungen den Kindern schöne Ferien zu bieten - selbst für pädagogische Profis ein Knochenjob. Das gesamte Kinderheim ist dort sechs Wochen lang, jedes Jahr der gleiche Ort, die gleichen Leute, kein Geld, keine Klamotten. Wenn "Enya" nichts täte, wäre es freilich noch schlimmer. Jana wohnt neben einem amerikanischen Bibelschüler in einer ehemaligen Synagoge samt Friedhof, die jetzt zur hussitischen Kirche umfunktioniert wurde.

Der letzte im Bunde spricht kein Deutsch
oder Englisch, schaut uns fast nie direkt an und läßt uns mitteilen: ab heute heißt er "Ildefons" (diese Schöpfung ergibt auch auf Tschechisch nicht viel Sinn), wir möchten ihn bitte so nennen. Wir nennen ihn am darauffolgenden Tag "Bärbel", das geht einfacher. Ildefons trägt immer antiquarische Bücher unter dem Arm, doziert stundenlang über Architektur, um dann zuzugeben, daß ihn das selbst nicht interessiert. Wenn unsere Studentinnen schon nicht der Durchschnitt der tschechischen Jugend sind, zählt er bestimmt zur Randgruppe der Avantgarde. Und darin zur Subkultur, also eine andere Dimension der Realität. Aber sobald er nicht mehr dabei ist, verfahren sich die weiblichen Scouts unausweichlich im öffentlichen Nahverkehr. Hedvika auf die Frage, wo Bärbel sei: "Gestern sah ich ihn auf dem Dachfirst, er hatte eine Sinnkrise." Bärbel ist einfach Ildefons.

Dementsprechend kennen wir Nürnberger jetzt von Prag den Hradschin im Wandel der Jahrhunderte, sprechen ein paar Brocken unaussprechliches Tschechisch, aber wissen nicht, was 0815- tschechische Jugendliche bewegt